Vom Arbeiter-Label zur Style-Institution: die Geschichte von Carhartt
Die Geschichte des Denim-Labels Carhartt ist eine Geschichte voller Missverständnisse – gleichzeitig ist sie gekrönt von unglaublichen Erfolgen. Erfolge, wie es sie selten gibt, im nahezu unüberschaubaren Jeans-Markt. Nach bald 125 Jahren Label-Geschichte wird es für uns Zeit, diese Marke genauer zu ergründen. Diese Marke, die wir so lieben und von der jeder modeaffine Mensch zumindest ein Kleidungsstück besitzen sollte. Wir reden hier nicht von einem popeligen kleinen Label, das mal für ein, zwei Jahre einen kleinen Hype hatte, sondern seit mehreren Jahrzehnten eine absolute Style-Institution ist – Big Business also.
Beginnen wir mit ein paar Hard-Facts: Das Unternehmen Carhartt Inc. wurde 1889 durch den Amerikaner Hamilton Carhartt im texanischen Killeen gegründet – und zwar keineswegs als Lifestyle-Label, sondern als hochwertige Marke für Arbeitskleidung. Genauer gesagt entwickelte Carhartt seine ersten Stücke für die schwerarbeitenden texanischen Eisenbahner, die auf hohe Qualität und robuste Denims, Overalls und Jacken angewiesen waren. Damit konnte die Marke bereits einige Erfolge verbuchen und sich unter der amerikanischen Arbeiterschaft einen Namen machen. Seit seinem Start vor weit mehr als einhundert Jahren wuchs das Label beständig weiter. Auch heute ist Carhartt in den USA auf Baustellen, bei Farmern, Handwerkern und für alle „schmutzigen“ Arbeiten, bei denen angepackt werden muss, die unangefochtene Nummer Eins.
Viele mögen davon überrascht sein, schließlich kennt man das Label in Europa als reines Lifestyle-Modelabel. Wie kam es also zu dieser zweigleisigen Entwicklung? Obwohl Carhartt in Amerika seine traditionelle Bedeutung beibehalten hat, ging die mittlerweile in Europa fest etablierte Entwicklung zum Fashion-Label von den USA aus.
Für modeaffine Jugendliche erlangte die Marke dort erstmals eine gewisse Bedeutung als die Crack-Dealer der 80er Jahre damit begannen, bei ihren kühlen Nachtschichten wärmende Carhartt Jacken, Mützen und Jeans zu tragen. Für die Ghettojugend der USA waren die Dealer damals wie heute so etwas wie lokale Superstars, denen man natürlich nacheifern musste – nicht zuletzt auch, was den Modestil angeht. Als dann schließlich auch einige Rapper den Trend entdeckten und damit begannen, Carhartt Jeans als Baggys zu tragen, war die Marke endgültig im Mainstream angekommen und offiziell Teil der HipHop-Kultur geworden.
Dieser Hype, der in Amerika relativ schnell wieder vorüber ging, schwappte jedoch bald nach Europa über und konnte sich hier dank geschicktem Marketing, einem ausgefeiltem und trendigen Sortiment behaupten. So ist Carhartt in weiten Teilen der Welt so etwas wie eine absolute Streetwear-/Denim-Ikone geworden. Als Modelabel ist es heute tief in der Skater- und BMX-Subkultur verwurzelt und hat zahlreiche Anhänger in der Rap- und Elektroszene, die nicht zuletzt aktiven Sponsoring und Werbung zu verdanken ist.
Als etwa 2002 Aggro Berlin erste Erfolge feierte, wurden die Künstler der Plattenfirma massiv von Carhartt gesponsert und mit Klamotten ausgestattet – die Fans dankten, indem sie ebenfalls auf die Denims des Labels zurückgriffen und ihm so zu einem weiter Popularitätsschub verhalf. Zuletzt waren die simplen Carhartt-Beanies wieder extrem angesagt. Während die Streetwear-Sektion von Carhartt also den europäischen Raum mehr und mehr für sich vereinnahmt und aufgrund seines zeitlos-simplen und doch ansprechenden Stil weiterhin große Erfolge feiert, hat man sich im Heimatland USA mittlerweile wieder auf die Wurzeln besonnen. Hier tritt das Label nur noch als Produzent von hochwertiger Arbeitskleidung auf – man beachte dazu die Fotostrecken auf der hauseigenen Webseite carhartt.com.
Für den hiesigen Markt ist ganz offensichtlich weiterhin das Credo, hochwertige Denims zu produzieren, ohne dabei jedem x-beliebigen Trend hinterherzuhecheln. Stattdessen setzt man bei Carhartt ganz offensichtlich auf die bewährte Rezeptur aus zeitlosen Cuts, mal etwas schmaler, mal etwas relaxter, auf lässige Chinos oder stabile Jeans. Dafür lieben die Fans Mode von Carhartt und daran soll sich auch bitteschön möglichst wenig ändern. Denn wie heißt es so schön? – If it’s not broken, don’t fix it!